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Deutsche Philologie (B.A.)

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Zeitstruktur in der Literatur (Neuere deutsche Literatur)

Ein zentraler Aspekt bei der formalen Analyse literarischer Texte ist die Zeitstruktur. Das bedeutet, dass man das Verhältnis von Erzählzeit (discours, die Zeitspanne, die die Erzählung faktisch benötigt) und erzählter Zeit (histoire, die Zeitspanne, von der die Erzählung berichtet) untersucht, wodurch man in vielen Fällen wertvolle Erkenntnisse für die Interpretation eines Textes gewinnen kann.

Das Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit nennt man Erzähltempo. Grundsätzlich spricht man von drei Erzähltempi, in denen Texte oder Teile von Texten ablaufen können. Entspricht die Erzählzeit der erzählten Zeit, so liegt eine Zeitdeckung vor. Ist die Erzählzeit kürzer als die erzählte Zeit, hat man es mit einer Zeitraffung zu tun, im umgekehrten Fall mit einer Zeitdehnung.

Lesen Sie die folgenden Textabschnitte aufmerksam durch und ordnen Sie danach zu, welche Zeitstruktur bzw. welches Erzähltempo Sie in den Textausschnitten ausfindig machen können.

„Weißt Du, Grete, wir haben ein Nest in unserm Garten, und ganz niedrig, und zwei Junge drin.“

„Das wäre! Wo denn? Ist es ein Fink oder eine Nachtigall?“

„Ich sag’ es nicht. Du mußt es rathen.“

Diese Worte waren an einem überwachsenen Zaun, der zwei Nachbargärten voneinander trennte, gesprochen worden. Die Sprechenden, ein Mädchen und ein Knabe, ließen sich nur halb erkennen, denn so hoch sie standen, so waren die Himbeerbüsche hüben und drüben doch noch höher und wuchsen ihnen bis über die Brust.

„Bitte, Valentin“, fuhr das Mädchen fort, „sag‘ es mir.“

„Rathe.“

„Ich kann nicht. Und ich will auch nicht.“

Theodor Fontane: Grete Minde. Nach einer altmärkischen Chronik. Bearbeitet von Claudia Schmitz (= Ders.: Große Brandenburger Ausgabe. Hrsg. von Gotthard Erler. Abt. I: Das Erzählerische Werk. Hrsg. in Zusammenarbeit mit dem Theodor-Fontane-Archiv, Bd. 3), Berlin 1997, S. 5.

Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der siebenjährige Krieg ging vorüber, und Kaiser Franz der Erste starb, und der Jesuitenorden wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die Kaiserin Maria Theresia starb, und der Struensee wurde hingerichtet, Amerika wurde frei, und die vereinigte französische und spanische Macht konnte Gibraltar nicht erobern. Die Türken schlossen den General Stein in der Veteraner Höhle in Ungarn ein, und der Kaiser Joseph starb auch. Der König Gustav von Schweden eroberte russisch Finnland, und die französische Revolution und der lange Krieg fing an, und der Kaiser Leopold der Zweite ging auch ins Grab. Napoleon eroberte Preußen, und die Engländer bombardierten Kopenhagen, und die Ackerleute säetn und schnitten.

Johann Peter Hebel: Unverhofftes Wiedersehen. In: Ders.: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes, Frankfurt/M. 2008, S. 234–236, hier S. 235.

Der Kellner des Gasthofes „Zum Elefanten“ in Weimar, Mager, ein gebildeter Mann, hatte an einem fast noch sommerlichen Tage ziemlich tief im September des Jahres 1816 ein bewegendes, freudig verwirrendes Erlebnis. Nicht, dass etwas Unnatürliches an dem Vorfall gewesen wäre; und doch kann man sagen, dass Mager eine Weile zu träumen glaubte.

Mit der ordinären Post von Gotha trafen an diesem Tage, morgens kurz nach 8 Uhr, drei Frauenzimmer vor dem renommierten Hause am Markte ein, denen auf den ersten Blick – und auch auf den zweiten noch – nichts Sonderliches anzumerken gewesen war. Ihr Verhältnis unter einander war leicht zu beurteilen: Es waren Mutter, Tochter und Zofe. Mager, der, zu Willkommsbücklingen bereit, im Eingangsbogen stand, hatte zugesehen, wie der Hausknecht den beiden ersteren von den Trittbrettern auf das Pflaster half, während die Kammerkatze, Klärchen gerufen, sich von dem Schwager verabschiedete, bei dem sie gesessen hatte, und mit dem sie sich gut unterhalten zu haben schien. Der Mann sah sie lächelnd von der Seite an, wahrscheinlich im Gedanken an den auswärtigen Dialekt, den die Reisende gesprochen, und folgte ihr in einer Art von spöttischer Versonnenheit mit den Augen, indeß sie nicht ohne unnötige Windungen, Raffungen und Zierlichkeiten, sich vom hohen Sitze hinunterfand.

Thomas Mann: Lotte in Weimar. Hrsg. und textkritisch durchgesehen von Werner Frizen (= Ders.: Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke – Briefe – Tagebücher. Hrsg. von Heinrich Detering et al., Bd. 9.1), Frankfurt/M. 2003, S. 11.

Zeitraffung

Zeitdeckung

Zeitdehnung

Theodor Fontane: Grete Minde (1897)

Dieser Ausschnitt zeigt einen – bis auf den kurzen verortenden Einschub – kommentarlosen Dialog, der wie ein Gespräch in Echtzeit abläuft; die erzählte Zeit ist gleich der Erzählzeit. Das zeitdeckende Erzählen suggeriert hier dem Leser, dem Gespräch unmittelbar beizuwohnen.

Johann Peter Hebel: Unverhofftes Wiedersehen (1811)

Der Erzähler teilt uns in diesem Textstück eine Vielzahl von einschlägigen Ereignissen der Weltgeschichte auf kleinstem Raum mit; die erzählte Zeit ist bedeutend länger als die Erzählzeit. Diese Raffung und die sehr parallel gestaltete Anordnung der verschiedenen Begebenheiten vermittelt auf diese Weise umso mehr den Eindruck einer ereignisreichen Zeit.

Thomas Mann: Lotte in Weimar (1939)

In diesem Beispiel wird wesentlich mehr vom Erzähler berichtet und beschrieben als eigentlich in diesem Moment der Erzählung geschieht; die erzählte Zeit ist kürzer als die Erzählzeit. Die Zeitspanne innerhalb der Erzählung, um die es hier geht, ist sehr kurz, man könnte fast sagen, es handelt sich um einen Augenblick. Gestreckt wird diese dann aber in der Narration mittels einer Vielzahl ausführlicher Beschreibungen der beteiligten Figuren.

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